Manfred Knake :
„Heute wird die "kommunale Entlastungsstraße" in Bensersiel /Stadt Esens im europäischen Vogelschutzgebiet V63 dem Verkehr übergeben. Es ist in der Tat zum Übergeben: kommunale Nachsicht statt kommunaler Aufsicht, missbräuchliche Mittelvergabe des Landes von 5,4 Millionen Euro, wie Kritiker sagen. Kein rechtsstaatliches Handeln und das Versagen der kommunalen Selbstverwaltung. Ein ungewohnt deutlicher Bericht in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ). Dann bleibt abzuwarten, ob der NABU nicht nur die Lippen spitzt, sondern auch vor Gericht pfeift.. Details auch hier: https://www.wattenrat.de/2017/07/19/reloaded-chronologie-derumgehungsstrasse-bensersiel-teil-2/ --- Quellenangabe: HAZ vom 15.03.2021, Seite 9 Das Straßentheater: Seit 20 Jahren beschäftigt die Umgehung für Bensersiel Politiker, Naturschützer und Gerichte. Jetzt will die Gemeinde die Straße erneut freigeben – trotz der Zweifel an der Rechtmäßigkeit.
Von Bert Strebe , Bensersiel.
"Es gibt wahrscheinlich nicht allzu viele Kommunen in Deutschland, denen ein Gericht schon einmal ein „über Jahre andauerndes rechtsuntreues Verhalten“ attestiert hat. Das Verwaltungsgericht Oldenburg hat dieses Etikett 2017 der Stadt Esens im ostfriesischen Kreis Wittmund angeheftet, verbunden mit der Vermutung, die Kommune könne dieses Gebaren bei nächster Gelegenheit fortsetzen. Es ging um eine Angelegenheit, die Politik, Naturschützer und Justiz seit mittlerweile 20 Jahren beschäftigt – und die mutmaßlich immer noch nicht zu Ende ist. Am 22. Oktober des Jahres 2000 erschien auf Seite 22 der „Ostfriesen-Zeitung“ eine Notiz über die Planung einer Trasse für eine Umgehungsstraße um den kleinen Küstenort Bensersiel, der ein Stadtteil von Esens ist. Es war das erste Mal, dass die Öffentlichkeit von der „kommunalen Entlastungsstraße“, wie sie in der örtlichen Politik heißt, Kenntnis nehmen konnte. Seitdem ist die Straße ein Dauerthema. Denn das Bauwerk, das Bensersiel vom stetigen Autoverkehr befreien sollte, wurde mitten durch ein Areal gezogen, das ein „faktisches Vogelschutzgebiet“ nach EU-Richtlinien war. „Faktisch“ nennt man Schutzgebiete, die noch nicht in nationales Recht überführt sind, in denen der Naturschutz aber trotzdem bereits beachtet werden muss. Doch darum hat man sich im SPD-dominierten Rathaus zu Esens seinerzeit nicht gekümmert, obwohl man ausweislich eines Auausschussprotokolls davon wusste. Es gab nicht mal eine Verträglichkeitsprüfung. Ein Mann hat von Anfang an vor dem Vorhaben gewarnt: Manfred Knake. Der ehemalige Dorfschullehrer, mittlerweile 73, ist Naturschützer. Und Jemand, der keine Angst vor Konflikten und keinen unnötigen Respekt vor Behörden hat. „Ich bin der Quengel- Knake“, sagt er und lacht. Tatsächlich dürfte Knake zu den meistgehassten Personen in Esens zählen. 2001 hat er den Wattenrat gegründet, ein loses Bündnis einer Handvoll Naturschützer, die sich in den großen Umweltverbänden nicht mehr recht zu Hause fühlen, jedoch bestens beschlagen in Sachen Naturschutz und Umweltrecht sind. Erster Spatenstich für die Umgehungsstraße war 2009, Verkehrsfreigabe 2011. Reibungslos verlief nichts davon. Vor Baubeginn hatte die Stadt einen pensionierten Richter aus Dortmund, dem 5,2 Hektar der insgesamt 2,1 Kilometer langen Trasse gehörten, enteignet. Der Mann klagte gegen die Straße, und Manfred Knake und den Wattenrat hatte er dabei auf seiner Seite. Schon der erste Bebauungsplan der Stadt für die Straße erwies sich in den Prozessen als unzureichend, 2013 befand das Oberverwaltungsgericht Lüneburg, auch der zweite, nachgebesserte B-Plan der Stadt sei „rechtsunwirksam“. Versuche, die Asphaltbahn dadurch zu retten, dass noch schnell ein Schutzgebiet nach Brüssel gemeldet wurde, das die Straße aussparte, wurden schließlich 2014 vom Bundesverwaltungsgericht Leipzig kassiert: Die „unzulässige Straßenplanung“ könne dadurch „nicht geheilt“ werden. Längster Schwarzbau Damit war die Umgehungsstraße Bensersiel höchstrichterlich für illegal erklärt worden. Man hatte 8,4Millionen Euro für ein rechtswidriges Projekt ausgegeben, das Land Niedersachsen hatte 5,4 Millionen Euro Förderung nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz dazugetan. Der Bund der Steuerzahler erklärte die Umgehungsstraße zum „längsten Schwarzbau der Republik“. Das Urteil hinderte die Stadt nicht daran, den Verkehr munter weiter über die Fahrbahnen rollen zu lassen, bis ihr das Verwaltungsgericht Oldenburg 2017 auf die Finger klopfte und die Sperrung der Straße anordnete. Das war das Urteil, in dem die Kammer vom fortgesetzten „rechtsuntreuen Verhalten“ der Stadt sprach. Auch darum hatte der pensionierte Richter wieder prozessieren müssen, von allein versuchte die Verwaltung nicht, sich an die Gesetze zu halten. Schließlich, im November 2020, gab es eine kleine Sensation: Die Stadt Esens einigte sich mit dem Kläger, dem man zuvor keinen Cent zahlen wollte. Gegen die Summe von mutmaßlich 4 Millionen Euro (der Rat verabschiedete eigens einen Nachtragshaushalt über 4,4 Millionen für den Grunderwerb und die Nebenkosten) zog der frühere Richter seine noch verbliebenen Klagen zurück. Möglicherweise wurde die Einigung dadurch beschleunigt, dass der pensionierte Jurist zwischenzeitlich darauf hingewiesen hatte, dass nicht nur die Straße, sondern offenbar auch der große Bensersieler Campingplatz, der außendeichs direkt an den Nationalpark Wattenmeer grenzt, nach Naturschutzrecht nie hätte gebaut werden dürfen, und dass es dazu ebenfalls Verfahren geben könnte. Dritter Bebauungsplan Darüber redet derzeit niemand mehr, der Kläger ist abgefunden und von der Bildfläche verschwunden. Das „faktische“ Vogelschutzgebiet ist vom Landkreis in ein Landschaftsschutzgebiet mit nicht allzu rigiden Auflagen umgewandelt worden, in das die Straßentrasse als Ausnahmemöglichkeit eingearbeitet wurde. Und die Stadt Esens hat einen weiteren Bebauungsplan für die Umgehungsstraße aufgestellt, den dritten inzwischen. Sie tut so, als gäbe es noch gar keine Straße und als habe man alles völlig neu geplant. Kann das funktionieren? „Nein“, sagt Naturschützer Manfred Knake, die Einigung zwischen Stadt und Kläger ändere nichts an der Tatsache, dass die Straße illegal sei. „Doch“, sagt Harald Hinrichs, Samtgemeindebürgermeister und Stadtdirektor von Esens: Durch die zurückgezogenen Klagen sei der dritte Bebauungsplan jetzt rechtskräftig. „Falsch“, sagt Manfred Knake: Erst nach der Unterschutzstellung dürfe man mit etwaigen Straßenplanungen beginnen, nicht schon vorher. Außerdem, sagt der Naturschützer, gebe es im Verwaltungsrecht ein sogenanntes Normwiederholungsverbot, demzufolge ein einmal für nichtig erklärter Bebauungsplan nicht neu aufgelegt werden dürfe. Hinrichs dagegen meint, durch das neu gezogene Landschaftsschutzgebiet sei eine „rechtlich andere Qualität“ entstanden. Und er seufzt und fügt an (und es ist klar, wen er damit meint): „Wer kein Freund dieser Straße ist, mag das nicht wahrhaben wollen.“ Zu denen, die keine Freunde der Straße sind, gehört allerdings auch die Europäische Union. Auf Anfrage der HAZ erklärt die EU-Kommission in Brüssel nach Prüfung der aktuellen Lage, die Straße erfülle nicht die Anforderungen des EU-Rechts; eine Sprecherin ergänzt, die Kommission erwarte „eine Umsetzung des Urteils“ von 2014. Sollten die Behörden das nicht tun , könnten ein weiteres Mal die Gerichte damit befasst werden. Keine Rückforderung Deutliche Worte. Aber: Die EU selbst wird nicht klagen. Das müssten Bürger oder Naturschutzverbände tun, heißt es. Doch wer? Manfred Knakes Wattenrat ist zu klein, sich solche Prozesse zu leisten. Der BUND Niedersachsen erklärt, er plane keine rechtlichen Schritte – die Straße sei zwar ein „Skandal“, aber man rechne nicht damit, dass ein Gericht einen Abriss anordnet. Nur der Nabu Niedersachsen bekundet, wenn die Straße tatsächlich wieder für den Verkehr geöffnet werden sollte, „werden wir uns mit der Frage (einer Klage) befassen“. Das könnte jetzt bereits nötig werden: Die Stadt Esens will die Strecke an diesem Montag freigeben. Was übrigens trotz aller richterlich festgestellten Unrechtmäßigkeit der Umgehungsstraße nie zur Debatte stand, war eine Rückforderung der Millionenzuschüsse des Landes. Zum Zeitpunkt der Förderentscheidung habe rechtlich die Baureife vorgelegen, erklärt ein Sprecher des Wirtschafts - und Verkehrsministeriums, danach sei man nicht mehr zuständig gewesen. Zwar hätte die Straßensperrung 2017 zu einer Prüfung wegen Zweckentfremdung führen können, aber die entsprechende Frist sei schon 2016 abgelaufen. Es scheint, als ob die 5,4 Millionen Euro das Land gar nicht interessierten. Dafür ist die Umgehungsstraße Bensersiel inzwischen Lehrstoff für Studenten, etwa an der FH Osnabrück – als singuläres Beispiel für den Umgang einer Kommune mit dem Umweltrecht. Millionen Euro öffentlicher Mittel sind für eine illegale Straße ausgegeben worden....5,4 Millionen Euro hat das Land beigetragen".