An das Niedersächsische Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz - Fax 4 Seiten - Archiv Straße Hannover Umgehungsstraße Bensersiel/Stadt Esens/Landkreis Wittmund hier: Neuabgrenzung des Vogelschutzgebietes V63, Verbandsbeteiligung, Stellungsnahme Sehr geehrte Damen und Herren, vom Landesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (LBU) in Hannover wurde ich mit der Stellungnahme beauftragt. Die Vollmacht liegt diesem Fax bei. Das Niedersächsische Umweltministerium gibt nach Gesprächen mit Esenser Ratsmitgliedern vor, den von den Gerichten gerügten Mangel beim Bau Umgehungsstraße Bensersiel/Stadt Esens/LK Wittmund mit einer „Neuabgrenzung“ des Vogelschutzgebietes V63 heilen zu können. Das Bundesverwaltungsgericht hat aber festgestellt: „Die Abgrenzung des V63 im Bereich Bensersiel ist unter Berücksichtigung des Bebauungsplans Nr.67 nicht ausschließlich ornithologisch begründet.“ (vgl. BVerwG-Urteil S.25) und „Bei der Planung haben vornehmlich die wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Gesichtspunkte [der Stadt Esens] eine Rolle gespielt.“ (vgl.OVG Lüneburg S.24f.) Die EU-Kommission aber verlangt, wie es in der schriftlichen Urteilsbegründung (OVG-Lüneburg, 1 KN 33/10, vom 10. April 2013, Seite 17) heißt : „Die Auswahlentscheidung hat sich ausschließlich an diesen ornithologischen Erhaltungszielen zu orientieren. Eine Abwägung mit anderen Belangen findet nicht statt…dürfen Praktikabilitätserwägungen wie städtebauliche Entwicklungsmöglichkeiten bei der Grenzziehung nicht berücksichtigt werden.“ (Siehe auch Jura Forum, 27. März 2014: Straßenplanung durch faktisches Vogelschutzgebiet nicht durch nachträgliche Gebietsmeldung zulässig, Link: http://www.juraforum.de/recht-gesetz/strassenplanung-durch-faktisches-vogelschutzgebiet-nicht-durch-nachtraegliche-gebietsmeldung-zulaessig-474392 Der Neuabgrenzungsvorschlag läuft dieser Forderung in der europäischen und bundesdeutschen ständigen Rechtsprechung (EuGH, BVerwG, OVG) jedoch total entgegen! Wieder werden nicht ornithologische Gründe, sondern die wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Interessen der Stadt Esens gemäß ihrer Baulandbevorratungspolitik zur Richtschnur der Abgrenzung gemacht. Die Stellungnahme des NLWKN (Staatliche Vogelschutzwarte) zur Neuabgrenzung ist keineswegs naturschutzfachlich begründet; im Gegenteil sie verstößt in mehrfacher Hinsicht gegen die vom Land Niedersachsen auf der Grundlage der europarechtlichen Kriterien erstellten Entscheidungsgrundsätze. Die Neuabgrenzung hat mit einer fachlichen avifaunistischen Abgrenzung überhaupt nichts zu tun. Die ornithologisch wertvollsten Flächen östlich von Bensersiel mit den größten lokalen Beständen des Großen Brachvogels werden nicht in das Schutzgebiet einbezogen, weil die Stadt Esens diese Flächen in nächster Zeit als Baulandflächen vorgesehen bzw. bereits gekauft hat. Es werden lediglich 10 Hektar avifaunistisch unbedeutendere Flächen in einer Tiefe von etwa 10 bis 20 m entlang der Straße ausgewiesen, die wegen der unmittelbaren Nähe zur Straßentrasse für den Vogelschutz der vorherrschenden Offenlandvogelarten völlig wertlos sind; diese aber gehören dem Kläger gegen die Umgehungsstraße. So kann man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: 1. Man kann angeben, das Vogelschutzgebiet ausgeweitet zu haben (damit es auch tatsächlich nach einer Neuabgrenzung aussieht) und 2. kann man den Eindruck gewinnen, der Kläger werde dafür abgestraft, dass er Normenkontrollverfahren gegen die Planungen der Stadt Esens angestrengt und dann auch noch gewonnen hat. Zu beachten ist, dass die Staatliche Vogelschutzwarte keine unabhängige Behörde ist, sondern weisungsgebunden arbeitet. Des weiteren hat das OVG-Lüneburg im April 2013 festgestellt, dass die Abgrenzung in allen drei Teilplänen der Bebauungspläne, also westlich, südlich und östlich von Bensersiel, fehlerhaft ist. Dennoch wird eine Neuabgrenzung nur im südlichen Teil vorgenommen. Diese rechtswidrige Begrenzung auf ein Teilstück geht sogar schon aus dem Titel “Neuabgrenzung des EU-Vogelschutzgebietes V63 südlich Bensersiel” hervor. Auch die Anzahl der abgrenzungsrelevanten Vogelarten beschränkt sich auf eine einzige Vogelart, den Schilfrohrsänger, dessen Brutplätze durch den Straßenbau gemäß den eigenen Angaben der Stadt Esens in den Bebauungsplänen zu 80 % vernichtet oder vergrämt worden sind. Die Neuabgrenzung ist daher aus materiell-rechtlichen Gründen absolut ungeeignet, um die gerichtlich monierten Fehler zu heilen. Aber auch aus formalrechtlichen Gründen ist die Neuabgrenzung anfechtbar, weil den Beteiligten im Beteiligungsverfahren (gemäß Verteiler vom 20.3.2014) vom Umweltministerium wesentliche entscheidungserhebliche Informationen vorenthalten werden. Auf der beigefügten Karte zur Neuabgrenzung ist nicht einmal der Verlauf der Straßentrasse, deretwegen die Neuabgrenzung erfolgen soll, eingezeichnet worden. Die Informationen auf etwa einer DIN-A4-Seite sind so dürftig und wenig aussagekräftig, dass sie es den Beteiligten nicht ermöglichen, die Neuabgrenzung begründet nachzuvollziehen; insbesondere ist die -erneute- Rechtsfehlerhaftigkeit in Bezug auf die europäische und bundesdeutsche Rechtsprechung nicht ansatzweise erkennbar. Es drängt sich die Vermutung auf, dass die Informationen bewusst so knapp gehalten worden sind, damit die Beteiligten die rechtlichen Probleme nicht einmal erahnen und somit aus “Gutgläubigkeit” der Neuabgrenzung zustimmen. Damit werden Sinn und Zweck des Beteiligungsverfahrens jedoch gründlich konterkariert. Das Umweltministerium hat in dem Beteiligungsverfahren eine umfassende Informationsfunktion, die sie ganz offensichtlich nicht in angemessener Weise wahrgenommen hat. Daher ist bereits die (prozedurale) Verfahrensweise als solche aus formalen Gründen juristisch angreifbar. Sollte diese fehlerhafte Neuabgrenzung von dem Landkreis Wittmund bestätigt werden, so ist schon jetzt abzusehen, dass sämtliche neuen Bebauungspläne, die sich auf diese Neu-Abgrenzung stützen, von dem Normenkontrollgericht mit derselben Begründung für rechtsunwirksam erklärt werden müssen, wie in dem Urteil des Nds. OVG-Lüneburg vom 10. April 2013. Mit freundlichem Gruß Manfred Knake