Peter Mlodoch 07.03.2015
Die kleine Erweiterung eines Vogelschutzgebietes soll die illegale Umgehungsstraße um den Ferienort Bensersiel (Kreis Wittmund) vor dem Rückbau retten. Ein neues Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg könnte das Vorhaben torpedieren. Außerdem ist nicht klar, ob die EU-Kommission die Tricksereien mitmacht.
Sie führt in einem 2,1 Kilometer langen Bogen um das beschauliche Hafenörtchen vor der ostfriesischen Insel Langeoog: die vor vier Jahren fertiggestellte „kommunale Entlastungsstraße“. 8,4 Millionen Euro hat ihr Bau verschlungen, drei Viertel steuerten Bund und Land bei, den Rest übernahm die Stadt Esens, zu der Bensersiel gehört. Schon dieses Finanzkonstrukt war zweifelhaft und rief damals den Landesrechnungshof auf den Plan. Ein viel größeres Problem aber bereiteten Watvögel, Blaukehlchen, Wiesenweihen und Nonnengänse. Wegen schwerer Versäumnisse und Verstöße gegen entsprechende EU-Richtlinien erklärte das Bundesverwaltungsgericht die Straße für rechtswidrig.
„Die unzulässige Straßenplanung in einem faktischen Vogelschutzgebiet wird nicht durch eine nachträgliche Gebietsmeldung geheilt“, urteilten die Leipziger Richter vor einem Jahr. Sie erteilten damit einem Trick des damaligen FDP-Umweltministers Hans-Heinrich Sander eine derbe Abfuhr. Dieser hatte sich zunächst gegen ein Schutzgebiet in der ostfriesischen Seemarsch ganz gesträubt. Erst unter dem Druck drohender Zwangsgelder durch die EU-Kommission meldete Niedersachsen das Areal 2007 in Brüssel an, sparte dabei aber den Straßenverlauf aus. Ein Eigentümer aus Dortmund, dessen 70 Hektar große landwirtschaftlich verpachtete Fläche von der Trasse durchschnitten wird, hatte gegen den Bebauungsplan geklagt.
Unter dem Eindruck des Prozesses leitete Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne) im Frühjahr 2014 über die staatliche Vogelschutzwarte eine Ausweitung des Vogelschutzgebietes ein – von 8043 Hektar zunächst auf 8054 Hektar, nach Protesten im Anhörungsverfahren schließlich auf 8070 Hektar. Das rot-grüne Kabinett in Hannover winkte diese neue Kulisse Anfang Februar durch, sie soll jetzt über die Bundesregierung nach Brüssel weitergereicht werden. Wenn die EU dieser Kompensation zustimmt, was allerdings Umweltschützer wie Manfred Knake vom Wattenrat wegen erheblicher naturfachlicher Mängel anzweifeln, will die Stadt Esens auf dieser Grundlage einen neuen Bebauungsplan für die Straße aufstellen. Mindestens zwei Jahre dürfte dies dauern.
Doch inzwischen hat das OVG Lüneburg eine neue Hürde für die Rettung der illegalen Straße aufgebaut. Weil der ursprüngliche Bebauungsplan null und nichtig sei, müsse auch die darauf fußende Flurbereinigung aufgehoben werden, urteilte der 15. Senat vor einer Woche. Folge: Der Dortmunder Kläger muss eigentlich die ihm im Zuge des Straßenbaus weggenommenen Grundstücke zurückerhalten. Das aber ginge nur, wenn die Umgehungstrasse abgerissen würde.
„Dieses Urteil macht unsere Lage nicht einfacher“, stöhnt Esens’ Stadtdirektor Harald Hinrichs und mag im Gespräch mit unserer Zeitung einen vier bis fünf Millionen Euro teuren Rückbau der Straße „nicht mehr völlig ausschließen“. Man befinde sich aber in Vergleichsverhandlungen mit dem Kläger. Denkbar erscheint demnach, dass die Kommune dem Dortmunder eine sehr hohe Entschädigung zahlt, um ihn von weiteren Rechtsmitteln gegen die Straße abzuhalten. Bislang lässt sich der Mann jedoch nicht in die Karten gucken.
Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne) spricht denn auch von einer „total vermurksten Situation“, für die allerdings die CDU/FDP-Vorgängerregierung verantwortlich sei. Sein Ressort habe mit der Erweiterung des Vogelschutzgebietes die Vorgaben der EU endlich erfüllt. „Die weiteren Schritte liegen jetzt bei der Gemeinde.“ Und bei der Brüsseler Kommission. Dort liegt bereits eine neue Beschwerde von Umweltschützer Knake.